FS:
Im Fernsehen laufen immer wieder Vampirserien wie
beispielsweise True
Blood, Vampire
Diaries und Moonlight.
Die Twilight-Filme
feiern riesige Erfolge. Die Menschen scheinen sich von
Vampirgeschichten immer mehr angezogen zu fühlen. Aber
woher kommt das?
SB: Dazu sollte man sich
zunächst einmal die Wurzeln der heutigen Vampirgeschichten
genauer ansehen. Man findet sie im 19. Jahrhundert, in der
Zeit des Viktorianismus. Der Vampir ist das Produkt einer
Krisenzeit: Die industrielle Revolution hatte in England
Einzug gehalten, alle weißen Flecken auf der Landkarte
waren bereits erforscht. Bei allem viktorianischen
Fortschrittsglauben drohte die Gesellschaft immer kälter
zu werden, für Individualität und die irrationalen Aspekte
der eigenen Vorstellungskraft schien kein Platz zu sein.
Der Vampir als wandelndes Paradox aus Leben und Tod,
Gentleman und Monster spiegelt zugleich die Ängste und
Sehnsüchte dieser Gesellschaft wider. Weil er eine
moralisch zweifelhafte Gestalt ist, "darf" er alles, auch
Tabubereiche wie Tod und Sexualität ausloten.
Eine parallele Entwicklung
ist auch heute zu beobachten: Technisierung und
Materialismus scheinen die Gesellschaft zu beherrschen, es
zählt hauptsächlich eine in Profit messbare Leistung. Der
Vampir bietet nicht nur einen Ausweg, sondern auch die
Möglichkeit, etwas auszuprobieren, was man vielleicht im
normalen Leben nicht tun könnte.
FS:
Kann
so eine Vampirstory trotz all der unrealistischen
Geschehnisse, die sie so erzählt, auch Teenagern und
unsicheren Menschen bei der Persönlichkeitsfindung
helfen?
SB: Ich denke, da spielen
verschiedene Aspekte hinein. Der Vampir verkörpert häufig
die Idee des Rebellen, der eben nicht konform ist, der
beweist, dass man sich nicht in der Gesellschaft
einordnen, mit dem Strom mitschwimmen muss. Die modernen
Vampire gehen oft auch eher in die Richtung "Superheld".
In Twilight
gibt es zum Beispiel eine Szene, in der Edward einen
heranrasenden Wagen mit einer Hand stoppt. Andererseits
ist der Vampir durch seine Einzigartigkeit auch ein
Außenseiter, er hat bestimmte Schwächen und wird immer
anders sein als die Menschen.
Das sind wichtige Themen,
die gerade Teenager besonders beschäftigen: Wie findet man
seinen individuellen Platz in einer Welt, die einem doch
ziemlich genau sagt, wie man sein und was man gut finden
soll?
FS:
Also werden auch Eigenschaften, die man in Zeiten von
Technikwahn und Materialismus nicht vergessen sollte, in
Vampirgeschichten wieder nähergebracht?
SB: Vampire müssen durch
ihre praktisch unbegrenzte Lebenszeit natürlich auch mit
den Konsequenzen ihrer Entscheidungen unbegrenzt leben. Da
werden dann plötzlich ganz andere Dinge wichtig. Da wird
eben nicht das Materielle wichtig, oder die Titel und die
Ausbildung. Man denke zum Beispiel daran, wie Edward Bella
durch sein Elternhaus führt und iht eine ganze Wand voller
mortarboards
zeigt, das ist eine Art Doktorhut, die man in den USA beim
Highschool- und Studienabschluss bekommt. Dadurch, dass
die Cullens so lange leben, können sie eine ganze Wand
damit tapezieren. Für sie ist dieses Symbol unwichtig
geworden. Die eigene Persönlichkeitsbildung und die
eigenen Werte werden sehr viel wichtiger, Werte wie
Familie oder Loyalität.
FS:
Haben
Sie zum Schluss noch einen Lektüretipp aus der
Vampirliteratur für uns?
SB: Ja, Totenbraut von
Nina Blazón, ein Roman, der in Serbien spielt und
ausnahmsweise einmal nicht vom attraktiven
Hochglanz-Vampir nach dem Vorbild von Dracula handelt,
sondern in den osteuropäischen Volksglauben hineingeht.
FS: Vielen Dank für das
Interview!
"'No Sex Please, We're Vegetarians' - Marketing the Vampire and Sexual Curiosity in Twilight, True Blood and the Sookie Stackhouse Novels". Gothic Transgressions. Extension and Commercialisation of a Cultural Mode. Eds. Ellen Redling and Christian Schneider. Kultur: Forschung und Wissenschaft Bd. 19. Münster: LIT, 2015.
Link zum Buch
"Satanisches Wissen? Neugier als Grenzüberschreitung in Science Fiction und Horror". Feststellungen. Dokumentation des 25. Film- und fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums. Hgg. Thomas Nachreiner, Peter Podrez. Marburg: Schüren, 2014. 343-52. Link zum Buch
"'Bitten Is the New Black' – Images of Women in Canadian and US American Vampire Chick Lit". The Centennial Reader. Current Readings - Reading Currents. Ed. William Bunn. Mount Royal University, Canada. 2011 Summer Issue.
Full text PDF-Version with kind permission of Centennial Reader
Footnotes
[1] "Bitten is the new black" is the tagline of Canadian author Michelle Rowen's fourth Immortality Bites novel: Michelle Rowen, Stakes & Stilettos (New York and Boston: Warner, 2009).
[2] P.C. and Kristin Cast distinguish the spelling 'vampyre' - the term children of the night use in their series to talk about themselves - from 'vampire', the undead created by folklore and previous literature.
[3] House of Night draws heavily on Wicca, a pantheistic neo-pagan religion popularised by Gerald Gardner in the 1950s, in which Goddess and God are regarded as complementary polarities.
Contemporary Vampire Fiction
Michelle Rowen, The Immortality Bites Series and The Immortality Bites Mystery Series
http://www.michellerowen.com/books/
P.C. and Kristin Cast, The House of Night Series
http://www.houseofnightseries.com/
Yasmine Galenorn, The Sisters of the Moon Series / The Otherworld Series
Charlaine Harris, The Sookie Stackhouse Series / The Southern Vampire Mysterieshttp://www.galenorn.com/Otherworld/
http://charlaineharris.com/