Diese erste Monographie zum Romanwerk
Thorpes setzt es sich zum Ziel, Diskontinuitäten und
Brüche eines Begriffs aufzuzeigen, der angesichts der
Multiperspektivität und Polyphonie von Thorpes Romanen
ausschließlich im Plural, in Form von erzählten
"Geschichten", denkbar ist.
Der
theoretische Teil der Arbeit untersucht
unterschiedliche Ausprägungen von
Geschichtswissenschaft und Gedächtniskultur in der
Gegenwart sowie Formen und Phänomene des
historischen Romans der Gegenwart im Kontext der
so genannten Postmoderne- und posthistoire-Diskussion.Ausgehend von Georg Lukács
Untersuchung zum historischen Roman, die auf einem
mimetischen Literaturbegriff im platonischen Sinne
basiert und eine "konkrete Erfassung der
Geschichte als Geschichte" als grundlegendes
Desiderat der Gattung des historischen Romans
formuliert, ließ sich über die Kritik an dieser
Konzeption des historischen Romans im Sinne einer
mimetischen Rekonstruktion historischer Fakten
eine Erweiterung und Veränderung des Genres
nachweisen. Während das mimetische Konzept noch
von der Existenz einer objektiven Wirklichkeit
ausgeht, bildet sich seit Beginn der Neuzeit mit
dem Wirklichkeitsbegriff der "Realisierung eines
in sich stimmigen Kontexts" eine neue Auffassung
von Realität heraus, welche die Entscheidung über
"die Wahrheit" auf das Individuum überträgt. Es
kommt zu einer Subjektivierung von
Wirklichkeitserfahrung, die sich mit dem Eintritt
in die Moderne verstärkt. Blumenbergs Auffassung
von Wirklichkeit als Text lässt den Roman
schließlich sogar in "Konkurrenz der imaginären
Kontextrealität mit dem vorgegebenen
Wirklichkeitscharakter der gegebenen Welt" treten
und lässt eine Aufwertung des historischen Romans
vom rein mimetischen zum genuin poetischen Genre
erkennbar werden.
Die
Erkenntnis, dass auch die Historiographie keine
objektive Imitation der Vergangenheit darstellt,
sondern narrative Konstrukte erzeugt, beeinflusst
nachhaltig Formen und Inhalte der Gattung des
historischen Romans der Gegenwart.
Linda
Hutcheon definiert die aus der vorgestellten
Entwicklung resultierende neue Ausprägung des
historischen Romans der Gegenwart, den sie mit dem
Begriff der historiographic metafiction
bezeichnet. Der Skeptizismus gegenüber der
Geschichtsschreibung, wie er in den Werken
zeitgenössischer Historiker wie etwa Hayden Whites Metahistory
zum Ausdruck gebracht wird, stellt eine Parallele zu dem
zunehmenden Zweifel postmoderner Romane an empirische
und positivistische Auffassungen von Realität – und
damit von historischen 'Fakten' – dar.
Hayden White illustriert in Metahistory
den Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert als eine
erkenntnistheoretische Transitions-periode, die
schließlich in der von ihm als "Krise des Historismus"
bezeichneten Grundstimmung resultierte und somit die
Basis für historiographische Selbstreflexivität und
eine metafiktionale Auseinandersetzung mit dem Begriff
der Geschichte bildete.
Ein holistisches Bild der
'Menschheitsgeschichte' ist obsolet geworden, an seine
Stelle rückt das individuelle Erinnern von einer
bestimmten Perspektive aus in den Vordergrund.
Vertreter der historischen Hermeneutik wie Wilhelm
Dilthey und Hans-Georg Gadamer nutzen, ähnlich dem
literaturwissenschaftlichen Verfahren, von Geschichte
und Konvention geprägte Vor-Urteile als produktive
Basis für ein höheres Verständnis. Des weiteren gilt
laut White der tropologischen Ebene der Interpretation
historischer Texte verstärkte Aufmerksamkeit. Die
Synthese von Hermeneutik und Historiographie bildet
einen weiteren Schwerpunkt der
Arbeit.Historiographische Entwürfe, die Whites
Forderung, "zur Diskontinuität zu erziehen",
entsprechen, sind beispielsweise in Foucaults Archäologie
des Wissens zu sehen, welche unter anderem die
Basis der Strömung des New Historicism
darstellt.
In
Thorpes Romanen existiert kein einheitliches Bild von
Wissen um die Geschichte, sie weist vielmehr das
Charakteristikum der Unbestimmtheit auf. Die
konkurrierenden Versionen von Ereignissen, deren
Wahrscheinlichkeit und Wahrheitsgehalt zu beurteilen
dem Leser überlassen bleibt, die Umdeutung der
Funktionen von Alltagsgegenständen sowie die Befassung
mit der retrospektiven Konstruktion möglicher
Vergangenheiten durch das Leitmotiv der Archäologie
zeigen Diskontinuitäten und Brüche in der Geschichte
auf.
Die erste Monographie zum
Romanwerk Adam Thorpes untersucht die folgenden
Romane unter besonderer Berücksichtigung ihrer
Geschichtsdarstellung:
Ulverton
(1992)
Still (1998)
Pieces of Light (1998)
Nineteen Twenty-One (2001)
No Telling (2003)
The Rules of Perspective (2005)
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